Stellungnahme zur Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts

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Das Bundesministerium der Justiz hat im Januar 2024 Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts vorgelegt. Damit wird eine schon seit einigen Jahren geführte juristische Diskussion in konkrete Reformvorschläge überführt. Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es einen sog. „Diskussionsteilentwurf“ des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Abstammungsrechts (12. März 2019), der allerdings nicht im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens weiterverfolgt wurde. Der Familienbund hat zu diesem Diskussionsteilentwurf Stellung genommen.[1] Die grundlegenden Überlegungen sollen hier noch einmal genannt werden (I.). Anschließend erfolgt eine Bewertung der einzelnen Reformvorschläge der Eckpunkte zum Abstammungsrecht (II.) und zum Kindschaftsrecht (III.). Für die endgültige Bewertung ist der angekündigte Gesetzentwurf abzuwarten.

 

Der Familienbund begrüßt das Verfahren, dass zunächst Eckpunkte vorgelegt werden und anschließend der Gesetzentwurf auf Grundlage der Diskussion der Eckpunkte erfolgen soll. Es ist wichtig, dass den Diskussionen zur Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts ausreichend Zeit eingeräumt wird. Insbesondere die Reform des Abstammungsrechts wirft nicht nur schwierige rechtliche und rechtspolitische Fragestellungen auf; sie berührt auch kulturelle Anschauungen, Traditionen und gesellschaftliche Leitbilder.[2] Die Antwort auf die Fragen „Wer ist Mutter?“ und „Wer ist Vater?“ ist vom Gesetzgeber nicht beliebig gestaltbar.[3]  Es gibt aber Spielräume, z.B. was die der Zuordnung zugrundeliegenden Prinzipien, die Anwendung von Vermutungsregelungen oder die Gewichtung der biologischen und sozialen Elternschaft angeht.[4] Der Familienbund hält eine gewisse Verschiebung der Gewichtung bei den Zuordnungsprinzipien für angemessen und passend für das heutige Leben von Familien. Die an einigen Stellen der Eckpunkte vorzufindende Übersteigerung des Vertragsgedankens – insbesondere was die sog. Elternschaftsvereinbarung angeht – sieht er aber kritisch.

 
Ausdrücklich ausgeklammert waren in der bisherigen, überwiegend juristischen Diskussion Fragen der rechtlichen Zulässigkeit und ethisch-moralischen Bewertung der verschiedenen und sich ständig erweiternden Methoden der modernen Reproduktionsmedizin.[5] Das ist insofern nachvollziehbar, als das Abstammungsrecht auch dann im Sinne des Kindeswohles bestmögliche Lösungen finden muss, wenn von verbotenen oder ethisch zweifelhaften Reproduktionsmethoden – z.B. im Ausland – Gebrauch gemacht wird.[6] Mittels Reproduktionsmedizin geborene Kinder müssen unabhängig von den Umständen ihrer Entstehung bestmöglich unterstützt werden. Das Verbot einzelner Methoden der Fortpflanzungsmedizin darf nicht auf dem Rücken und zum Nachteil dieser Kinder durchgesetzt werden. Verantwortung tragen allein die Eltern.
 
Dennoch sollte die ethische Problematik einzelner Methoden der Fortpflanzungsmedizin – wie z.B. der Leihmutterschaft – im gesellschaftlichen Bewusstsein bleiben und auch gesehen werden, dass das Abstammungsrecht zur Reproduktionsmedizin notwendigerweise einen Standpunkt einnimmt – indem es dieser entweder eher fördernd oder eher einschränkend gegenübersteht. Es darf nicht verkannt werden, dass ein Recht, das den Grundsatz der Eltern-Kind-Zuordnung nach der biologischen Herkunft einschränkt und den Wunsch zur Elternschaft oder die vertragliche Vereinbarung als gleichberechtigte Zuordnungsprinzipien anerkennt, einen Systemwechsel hin zu einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber der modernen Fortpflanzungsmedizin vornimmt, der aus Sicht des Familienbundes Risiken birgt. Auf der Grundlage eines solchen Systemwechsels erscheinen – über das in den Eckpunkten Vorgeschlagene hinaus – weitere abstammungsrechtliche Reformen zur Anerkennung fortpflanzungsmedizinischer Maßnahmen naheliegend. Über das von den Eckpunkten geplante Instrument der Elternschaftsvereinbarung ließen sich beispielsweise zukünftig Fälle der Leihmutterschaft umsetzen. Der Familienbund sieht hier Gefahren für das Wohl von Kindern und Müttern. Er schließt sich der Vorsitzenden des BMJV-Arbeitskreises Abstammungsrecht an, die 2017 in ihren persönlichen Leitlinien formuliert hat: „Recht hat […} nicht nur bloße Ordnungsfunktion, sondern muss auch Grenzen setzen, die von den in unserem Rechts- und Kulturkreis gewachsenen allgemeinen Grundsätzen von Ethik und Moral bestimmt werden. Hier gilt: Ein Kind ist keine Bestellware […] Leitgedanke muss dabei die Wahrung der Würde menschlichen Lebens und der Schutz der schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft sein.“[7] Das spricht dafür, bei einer Reform des Abstammungsrechts behutsam vorzugehen. Änderungen sollten nur aufgrund einer konkret feststellbaren Problematik, nur im erforderlichen Maße und immer mit Blick auf das Kindeswohl vorgenommen werden. Die Eckpunkte erwecken an vielen Stellen den Eindruck, dass die Reformvorschläge vorwiegend aus der Perspektive der Erwachsenen mit Kinderwunsch entwickelt wurden.
 
Der Familienbund der Katholiken hält es im Ausgangspunkt für richtig, am Abstammungsprinzip festzuhalten, also am geltenden Grundprinzip, dass dem Kind die biologischen Eltern auch als rechtliche Eltern zugeordnet werden.[8] Er verweist darauf, dass der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten ist, „die Zuweisung der rechtlichen Elternposition an der Abstammung des Kindes auszurichten“[9]. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthält das „Gebot, möglichst eine Übereinstimmung von leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen“[10]. Denn Eltern sind im Sinne des Grundgesetzes zunächst diejenigen Menschen, die einem Kind das Leben gegeben haben, da sie „von Natur aus grundsätzlich bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen“[11]. Von diesem Grundsatz können – wie das auch im geltenden Recht bereits der Fall ist  – klar begrenzte Ausnahmen zugelassen werden, die aber den Grundsatz als solchen und dessen Richtigkeit nicht in Frage stellen. Der Familienbund befürwortet eine moderate Fortentwicklung des geltenden Rechts.
 

[1] Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken zum Diskussionsteilentwurf des BMJV vom 12. März 2019.
[2] Helms, Rechtliche, biologische und soziale Elternschaft – Herausforderungen durch neue Familienformen, Gutachten zum 71. Deutschen Juristentag (Essen 2016), S. 8.
[3] Helms, a.a.O., S. 9 m.w.N.
[4] Jestaedt, in: BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 118.
[5] BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 17; Helms, a.a.O., S. 8.
[6] Vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2014, Az. XII ZB 463/13, Rn. 54.
[7] Hahne, in: BMJV (Hg.), Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht, S. 107.
[8] So auch Jox, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 18. März 2019, S. 6.
[9] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 - Rn. 56.
[10] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 - Rn. 68.
[11] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09. April 2003 - 1 BvR 1493/96 - Rn. 56.