In der Debatte um eine bessere Bekämpfung sexuellen Missbrauchs von Kindern warnt der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg M. Fegert vor einer Verengung auf Verschärfungen des Strafrechts. Der Schutz von Kindern in der Familie und in Institutionen müsse dringend verbessert werden, schreibt der Familienforscher am Montag in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Doch müsse der Kinderschutz viel mehr von den Kindern selbst her gedacht werden. "Strafverschärfungen schützen aber keine Kinder." Fegert hielt der Politik Untätigkeit vor. So habe schon der Koalitionsvertrag Forderungen nach besserem Gewaltschutz, besserer Zusammenarbeit von Institutionen sowie Fortbildung und der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz enthalten. "Doch erst jetzt, ein Jahr vor der Wahl des nächsten Bundestages, will Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ein größeres Reformpaket realisieren." Am heutigen Montag stellte das Ministerium den Gesetzentwurf vor. "Unbestritten ist: Der bisherige Strafrahmen für sexuellen Missbrauch sendet im Vergleich zu Eigentumsdelikten ein falsches Signal", betont der Kinder- und Jugendpsychiater. "Aber eine Erhöhung des Strafrahmens und eine Klassifizierung von Missbrauch als Verbrechen anstatt von Vergehen allein sind noch keine Lösungen."
Fegert forderte mehr Ermittlungen im Internet und mehr Hilfen für die Opfer. "Nur einer kleinen Zahl stehen derzeit eine leitliniengerechte Frühintervention und Traumatherapie zur Verfügung. Damit werden Betroffene ein zweites Mal im Stich gelassen", erklärte er. Notwendig ist aus seiner Sicht auch eine "kindgerechte Justiz". Deshalb sei es zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf für eine bessere Qualifikation von Familienrichtern und Richtern sorgen wolle. "Denn sehr viele Probleme mit Aussagen von Kindern entstehen dadurch, dass Erwachsene nicht wissen, wie sie mit Kindern sprechen sollen, dass sie nicht altersgemäße Fragen stellen und Kinder nach Zusammenhängen fragen, die diese entwicklungspsychologisch noch nicht verstehen und beantworten können." Fegert verwies darauf, dass in Deutschland die Diskrepanz zwischen Kriminalstatistik, Anzeigenerstattung und Verurteilung international am größten sei. Den 14.410 Betroffenen sexuellen Missbrauchs an Kindern stünden für 2018 nur 1.716 Verurteilte gegenüber. Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren seien in lediglich 412 Fällen ausgesprochen worden.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will Kindesmissbrauch schärfer bestrafen. Dazu legte ihr Ministerium am Montag in Berlin einen Gesetzentwurf vor. "Sexueller Missbrauch" wird darin durch den Begriff "sexualisierte Gewalt" ersetzt, "um das Unrecht der Taten klar zu beschreiben". Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder soll künftig ein Verbrechen sein, mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Bisher wird er als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht. Laut Entwurf soll Verbreitung, Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornografie zum Verbrechen hochgestuft werden. Für die Verbreitung von Kinderpornografie sieht der Entwurf Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor; statt bisher drei Monate bis fünf Jahre. Besitz und Besitzverschaffung sollen mit Freiheitsstrafen von einem Jahr bis fünf Jahren geahndet werden. Bisher sind es drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten soll künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet werden. Bisher sind es sechs Monate bis zehn Jahre. Auch die Verjährungsfrist wird laut Entwurf ausgeweitet. Bei der Herstellung kinderpornografischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, soll die Verjährungsfrist erst mit Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers beginnen. Der Gesetzentwurf sieht zudem Präventionsmaßnahmen und eine bessere Qualifizierung der Justiz vor. Die persönliche Anhörung von Kindern in Kindschaftsverfahren soll - unabhängig von ihrem Alter - grundsätzlich vorgeschrieben werden. Um Kindern und Jugendliche umfassend zu schützen, sollen die Fristen für die Aufnahme von relevanten Verurteilungen in erweiterte Führungszeugnisse erheblich verlängert werden. Um die Strafverfolgung zu verbessern soll bei schwerer sexualisierter Gewalt gegen die Anordnung von Untersuchungshaft unter erleichterten Voraussetzungen möglich sein. Eine Telekommunikationsüberwachung soll künftig auch bei Ermittlungen wegen Sichverschaffens oder Besitzes von Kinderpornografie möglich sein. Bei sämtlichen Formen der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder sowie der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte soll eine Onlinedurchsuchung angeordnet werden können. (Familienbund der Katholilken/KNA)